Atmen, Atmen und nochmals Atmen! Gehts überhaupt noch ohne Meditation in der heutigen Welt? Von mir aus nicht. Ein von Sucht geprägtes Gehirn braucht Struktur im Leben. Egal, ob diese Sucht substantiell war oder einen Mangel an Aufmerksamkeit in der Kindheit bedient, die Reaktionen im späteren Leben sind oft eine überaktive und unphysiologische Stressachse mit der Tendenz zu Kompensation durch eine spürbar niedrige Stresstoleranz. Und wie das Leben so spielt, können plötzlich gehäuft Themen auftreten, die schon als vermeintlich abgeschlossen galten. Das Reptiliengehirn lässt grüßen. Die richtige Atmung kann da eine große Hilfe sein. Am besten täglich!
Kohärentes Atmen
Als ich im Zuge eines eigenen Coaching Prozesses im Herbst auf das Buch von Dr. Wilfried Ehrmann mit dem Titel “Kohärentes Atmen – Atmung und Herz im Gleichklang” kam, war ich schon beim Lesen hocherfreut, wie hier Wissenschaft mit gelebter Praxis zusammengefasst wird.
Der einfachste Schlüssel zu unserem Herzen liegt jedoch buchstäblich ganz nahe: In der nächsten Umgebung unseres Herzens befinden sich die Lungen, die eng mit der Tätigkeit des Herzens kooperieren.
Irgendwie logisch, oder? 🙂 In Anlehnung an die Herzratenvariabilität, die ja ein bekannter Marker für das Stressverhalten des menschlichen Organismus ist, geht Dr. Ehrmann darauf ein, wie ein Herz im Gleichgewicht positiv auf
- Blutdruck
- Energiehaushalt
- Alterungsprozess
- Immunabwehr
- Angste und Depressionen
- emotionale Befindlichkeit
einwirkt und zeigt auf, wie das kohärente Atmen hier eine tragende Rolle spielen kann.
Was ist kohärentes Atmen?
Das autonome (auch vegetative) Nervensystem lernt nicht sprunghaft, sondern kontinuierlich. Das kann Wochen und sogar Monate dauern. Warum tun sich also Menschen mit Stressprägung und Traumen im Leben so schwer? Durch kontinuierliche Sprunghaftigkeit entsteht ein schlechtes Lernverhalten, die Tendenz zur Zerstreuung ist groß. Durch die ständig überschüssige Menge von Stresshormonen im Körper geschieht eine Dysbalance zwischen Sympathikus und Parasympathikus.
Das Ganze resultiert auch aus einer veränderten Anatomie wie Physiologie des limbischen Systems rund um Amygdala und Hippocampus. Beide Anteile des vegetativen Nervensystems gehören fest zum Menschen, doch wenn der Stress überwiegt, gerät der Parasympathikus in Not. Instinkte und Reaktionen sind die Folge. Im Stress gibt es keine guten Entscheidungen, vor allem keine, die langfristig ausgerichtet sind. Bis vor kurzem nutze ich u.a. die Wirkung der Meditation in all ihren Facetten. Bis ich auf das kohärente Atmen stieß. Diese funktioniert wie folgt. Hier einige Grundregeln:
- Die Ein- und Ausatmung ist gleich lang. Keine Pausen dazwischen
- Die Atmung folgt einem gleichbleibenden Rhythmus. Empfohlen werden 3-6 Atemzüge pro Minute, also jeweils 10 bis 5 Sekunden für Einatmung und ebenso für die Ausatmung.
- Die Atmung hat mittlere Tiefe. d.h. die Atemtiefe sollte ca. 50% betragen
- Die Ausatmung ist entspannt. Bei der Einatmung (vorwiegend über den Bauch) passiert ein gewisser Grad an muskulärer Anspannung durch das Zusammenziehen von Zwerchfell und Zwischenrippenmuskulatur. Atmen soll leicht fallen.
Um ein Gefühl für die Zeit zu bekommen, ist es hilfreich am Anfang mit Timern zu arbeiten. Ich nutze z.B. den Timer der Meditations-App CALM. Hier kann beliebig zwischen der Dauer der Ein- und Ausatmung eingestellt werden, so bleibst Du schön im Rhythmus von Anfang an und musst nicht zählen. Mit der Zeit stabilisiert sich die Fähigkeit, dies auch ohne Gerät zu machen.
Die Essenz ist es, eine sogenannte Valsalva-Welle entstehen zu lassen, die sich aus der regelmäßigen Ein- und Ausatmung zusammensetzt. So wird die vagale Bremse (Parasympathikus) nicht nur aktiviert sondern auch trainiert. Eine geniale und so einfache Sache.
Typische Fehlerquellen beim kohärenten Atmen
Das Schöne ist: Vieles im Leben ist veränderbar. Mit einem einfachen Tool, wie unserer bewussten Atmung kann somit Großes bewirkt werden. Voraussetzung natürlich immer: die regelmäßige Praxis der neuen Atmung, des neuen Verhaltens über einen längeren Zeitraum, bis gefühlte Veränderung eintritt. Am besten erwartungsfrei, die wohl größte Übung für den denkenden Verstand …
Wir haben damit die Freiheit faktisch überall das kohärente Atmen zu praktizieren. Wir brauchen keinen völlig exakten Signalgeber mehr, weil der Körper (wie das Leben insgesamt) keine digitale Exaktheit kennt und auf einer Ebene immer irritiert reagiert, wenn er mit einer derartigen Exaktheit konfrontiert wird.
Damit Du nicht schon am Anfang das Handtuch wirfst, liste ich einige Tipps auf, wie Du Fehler vermeiden kannst:
- Stress und Druck in jeder Form ist für das Üben kontraproduktiv. Wenn also Deine Atemfrequenz über den vorgeschlagenen 3-6x pro Minute liegt, dann erhöhe diese, bleibe jedoch in der regelmässigen Ein- und Ausatmung. Diese kann dann auch am Anfang 10-12x pro Minute sein. Das ist zwar das Zeichen, dass der Sympathikus überwiegt, doch durch die Übung verlangsamt sich diese Frequenz stetig
- Experimentiere nicht mit einem Ausdehnen und Zusammenziehen der Atemräume, so weit es geht, da die Atmung so entspannt wie möglich sein soll und vor allem die Ausatmung dann ohne jegliche Kontrolle passieren soll
- Übe geduldig im achtsamen Selbststudium 5-10 Minuten am Tag immer zur selben Zeit. Die Dauer kann ausgedehnt werden. Schaffe Dir einen Platz, wo Du Ruhe hast und nicht gestört wirst. Ich verwende liebend gerne dazu meine Bose Noise Cancelling Kopfhörer. Durch die spezielle Abschirmung schaffe ich mir den Raum den ich brauche, auch wenn die Tochter im Nebenzimmer spielt …
Ich kann Dir das Buch sehr zur Vertiefung in Herzkohärenz und Atmung empfehlen. Dr. Ehrmann hat Erfahrung durch viele Jahrzehnte im Bereich Atmung und der Wirkung auf die Regulation des Nervensystems. Wenn Du nachhaltig die Pflege Deines Parasympathikus im Sinn hast, bist Du bei ihm an der richtigen Adresse.